Glück

Hier folgen meine einführenden Worte unseres Salons vom 5. Juni 2025

Gibt es ein Recht auf Glück?

Wie immer fange ich an mit einer kurzen Einführung ins heutige Thema: dem Glück. Auch wie immer sind dies bloss ein paar Gedanken, nichts Fertiges, die uns einfach auf die Sprünge helfen sollen. Und dann seid ihr dran: zusammen werden wir diskutieren, debattieren, und philosophieren. Ihr dürft sagen was ihr denkt, vermutet, oder wisst. Oder auch nur zu wissen glaubt. Wir sind hier, um den anderen zuzuhören, und um von anderen gehört zu werden. Es geht nicht um ein Resultat zum Vorzeigen. Aber vielleicht—wer weiss?—hat ja jemand unter uns eine Erkenntnis oder eine Einsicht. Das wäre toll.

Ist es wirklich so, dass wir vom Glück beherrscht werden? Glück ist überall: in der Werbung (man sieht Leute beim Essen und sie scheinen glücklich zu sein; jemand fährt lachend einen Wagen; Damen schütteln freudestrahlend ihre frisch gewaschenen Locken); im Buchladen in der Selbsthilfe Abteilung stehen Bücher, die heissen Glücklich werden. Ein Leitfaden zur Selbstfindung und Veränderung, oder Endlich wirklich glücklich werden!, oder Glück. Was wir wissen und wie wir es erreichen. Sieben Lektionen des führenden Glücksforschers. Was! Ein «Glücksforscher»! Aber bloss sieben Lektionen!

Sind wir nicht selbst ebenso Glücksforscher? Auf der Suche nach dem Geheimnis des Glücks?

Auch am Arbeitsplatz ist es heute immer wichtiger, glückliche Angestellte und Mitarbeiter zu haben. Leute, die lachen, guten Mutes sind, zuversichtlich, und immer bereit zu leisten. Glück ist der Schlüssel zum Erfolg. Es verfolgt uns. Wenn wir unglücklich sind, dann werden wir als Verlierer wargenommen. Das ist die Tyrannei des Glücks. Wir sollen, und müssen, glücklich sein. Immer gut gelaunt und produktiv: optimal funktionierend im System.

Ihr merkt es: ich meine dies (fast) alles ironisch. Denn das Glück, wie ich es bisher eingeleitet habe, tönt eher wie die Aufforderung, ‘Sei spontan!’—die ist bekannterweise paradox, weil aufgefordert kann man gar nicht spontan sein. Ganz ähnlich mit ‘Sei glücklich!’ Als ob wir wählen können, glücklich zu sein. Natürlich, auf das Glück zu hoffen ist etwas anderes.

Nun also, was ist Glück? Was heisst es, glücklich zu sein? Ich meine nicht, wenn wir zu Beispiel sagen, «Die hatten Glück mit dem Wetter für die Schulreise.» Oder: «Ich hatte Glück als meine Aorta gerissen ist.» Das scheint eher wie eine glückliche Fügung zu sein, aber nicht etwas wofür irgendjemand etwas dazu beigetragen hat.

Ist Glück eher wie ein Zustand? Wenn wir zufrieden mit uns sind, oder eins mit uns sind. Wohl und zufrieden. Ist Glück diese Zufriedenheit?

Oder ein Gefühl ist wohl auch im Spiel, so etwas wie Freude. Wir freuen uns; wir sind glücklich: aber meint dies dasselbe? Es ist nicht einfach, hier den Unterschied herauszufinden. Ich versuche es trotzdem einmal. Wenn wir uns freuen, dann ist das gerichtet auf etwas. Wir können fragen, «Worüber freust du dich?» Dass uns etwas gelungen ist; dass wir jemanden getroffen haben; dass wir schöne Musik hören oder machen; dass wir zusammen philosophieren. Dem Glück fehlt irgendwie diese episodische Gerichtetheit; es ist irgendwie auf unsere Existenz gerichtet. Wir sind glücklich, wenn unser Leben rund läuft, oder wenn wir den Eindruck haben es fliesse gut; wenn wir gewissermassen mit uns selbst übereinstimmen. Oder wenn wir einfach keinen Grund zum Klagen haben?

Im Griechischen heisst Glück «eudaimonia». Dies heisst so etwas wie «echt beseelt» oder «wirklich aufgepasst von den Göttern» oder «gut überschaut vom Dämon». Wir können auch in einem Wort sagen, «gesegnet», oder «blühend» oder auch (auf Englisch) «flourishing» und «happiness». Aber es gibt keine passende Übersetzung, nur Umschreibungen.

Bei Aristoteles—ihr wisst, ich wende mich immer wieder gern an ihn—hat Glück mit dem Guten und der Tugend gekoppelt. Wir haben ja letzthin über die Tugend diskutiert; ich sage bloss, dass es im Griechischen so eine Art «Bestheit» oder «Perfektion» darstellt. Das Gute (oder auch das Noble oder Schöne) ist einfach gesagt alles das Wert hat. Es gibt ein höchstes Gut, welches den Endpunkt auf einer Skala darstellt. Um einen unendlichen Regress zu vermeiden, muss es ein höchstes Gut geben. Nämlich so: den Wecker morgens zu stellen ist gut. Wozu? Wir möchten gerne zeitig aufstehen. Wozu? Weil wir zur Arbeit müssen. Und was ist gut daran? Wir wollen etwas verdienen. Wozu? Weil wir uns Dinge leisten möchten. Und was ist gut daran? Weil es uns Lust gibt. Und was ist gut daran? Weil es uns glücklich macht. Und was ist gut daran? Darauf gibt es keine Antwort mehr. Das Glück ist das das Ende aller Fragen. Das höchste Gut ist kein Mittel zu einem Zweck, denn es ist der Zweck selbst.

Zurück zu unserer Frage: was ist Glück? Aristoteles antwortet, das sei eine Aktivität unseres Geistes (er sagt, «Seele») im Einklang mit der Tugend. Glück ist also eine Tätigkeit. Stellt euch vor: Glück ist ein Verb—ich «glücke», du «glückst», wir «glücken»!

Der zentrale Punkt ist der Selbstzweck des Glückes, wörtlich «das Ende» (to telos) unserer Lebensbemühungen, unseres ganzen Lebens; worauf es letztlich ankommt. So ist Glück gemessen an einem ganzen Leben. Wir könnnen also, streng gesagt, bloss im Rückblick von uns sagen, wir waren glücklich. Etwas lockerer gesagt, Glück wird dann so etwas wie Tüchtigsein im Leben. (Merkt ihr die Tugend hier im Hintergrund?) Oder (wie Gerd Achenbach dies einmal genannt hat) eine Art «Lebenskönnerschaft». Glück erkennen wir in einem gelingenden, einem geglückten Leben.

Noch ein letzter Punkt von Aristoteles: weil wir «kommunale Wesen» sind, sind wir nur in einer Gemeinschaft glücklich. Dies ist wichtig, weil die Glücksverkäufer uns weismachen wollen, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied, und somit selber für unser Glück verantwortlich. Dies ist totaler Individualismus, der auf übertriebener Innenbeschäftigung und übermässiger Kontrolle über sich selbst beruht. Michel Foucault nannte dies «les techniques de soi», die Techniken des Selbst. Wir denken stets darüber nach, wie wir noch glücklicher werden könnten. Aber ich denke dies ist ein Fehler: Glück kann man nicht «erreichen», und auch nicht «machen».

Es ist wörtlich ein «Zufall»: das Glück fällt einem zu. Wir können durch unsere Haltungen, unsere Gedanken, unsere Gefühle und unsere Taten des Glückes würdig sein oder es werden. Das ist was Aristoteles meint mit mentaler Aktivität im Einklang mit der Tugend.

So, dies waren einige Gedanken zum Glück. Ich glaube, ich habe es nicht wirklich definiert. Aber einige Fragen stellen sich nun.

Muss das Glück verdient werden? Oder gibt es ein Recht auf Glück für alle? Dürfen wir einen Anspruch auf das Glück haben? Dürfen wir, sollen wir, wollen wir, können wir, oder müssen wir glücklich sein?

Um diese Fragen geht es in unserer Diskussion. Oder auch andere—was auch immer euch glücklich macht…!

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